Reisebericht Nr. 11, Fennreich-Exploration mit Hindernissen

ARCHIV, LORE31.10.2025

Reisebericht Nr. 11, Fennreich-Exploration mit Hindernissen

Forschungsreise ins Fennreich unerwartet abgebrochen

Ausgehend von Bruck, gelegen im Herzen Isdraias und dem Strom des Elendars trotzend, arbeitet ein Rat aus mehreren Dutzend Gelehrten an der Sammlung und Dokumentation historischen Wissens wie zeitgeschichtlicher Ereignisse. Durch die großzügige Förderung des Bürgermeisters stehen Ressourcen zur Verfügung, die eine Archivierung nie dagewesenen Umfangs zulassen. So entsteht die größte und umfassendste Wissensdokumentation Isdraias. Die hieraus emporgestiegene Institution möge fortan „Das Allwissende Archiv“ genannt werden.

Reise nach Kuer

Vor fünf Dunklungen machte ich mich auf den Weg nach Fennquell, einem Ort im Westen des Fennreichs. Dort wollte ich die Kultur der Fenn des Westens studieren – wie sie sich zumindest selbst bezeichneten. Es war nicht die erste Reise, die ich gen Westen unternahm. Meine letzte Reise, verordnet zur Skizzierung brauchbarer Transportwege entlang der Eimh, führte lediglich bis zur großen Torstadt Kuer. Diesmal war mein Ziel deutlich weiter. Ich reiste nun auch allein, vornehmlich, um gegenüber den ohnehin skeptischen Fenn kein Gefühl einer möglichen Bedrohung auszulösen. Der Kumpane, der mich das letzte Mal begleitet hatte, war sowieso auf eine Expedition in den Norden geschickt worden und sollte sich gemeinsam mit zwei weiteren Archivaren den Skuhuks nähern.

Auf meiner durchaus beschwerlichen Reise begegnete ich auf dem neuen Handelsweg in der Dämmerflanke zunächst einem Händler. Trotz meines fremdartigen Aussehens behandelte er mich zunächst sehr zuvorkommend. Er zeigte mir zwei Wolbies, eingesperrt in einem Käfig und bot sie mir zum Kauf an. Als ich mich nach dem Preis erkundigte, überlegte er verdächtig lange und schlug mir ein Sonderangebot vor. Später sollte ich feststellen, dass er wohl versuchte, mich übers Ohr zu hauen – berichteten mir ein paar Bewohner Kuers an einem anderen Abend. Sie erklärten mir außerdem, dass es grundlegend keine gute Idee war, ein Wolby „einfach so“ zu erwerben. Die Tiere müssten – laut den ihnen – auserwählen, mit wem sie leben wollen und mit wem nicht. Glücklicherweise lehnte ich das Angebot des Händlers aber ohnehin ab. Doch machte mich der Anblick dieser possierlichen Wesen in dem Käfig etwas traurig.

Der restliche Weg in Richtung Kuer verlief weitestgehend ohne Zwischenfälle. Mir begegneten einige Fenn Patrouillen – allerdings ohne direkten Kontakt. Hin und wieder hörte ich etwas durchs Gebüsch huschen, doch ob es sich hierbei lediglich um Wild oder doch einen heimlichen Beobachter handelte, konnte ich nicht immer identifizieren. Besonders beunruhigt war ich bei Dunkelheit. Doch schienen meine Lagerfeuer auszureichen, um etwaige ungebetene Gäste fernzuhalten – oder es trieben sich gerade keine hungrigen Raubbären und Glimmerwölfe in der Nähe herum.

Ankunft in Kuer

Etwas erschöpft bin ich schließlich in Kuer angekommen. Zunächst wollte man mich nicht in die Stadt hineinlassen – genau wie beim letzten Mal! Ich hatte ehrlich gesagt erwartet, man würde sich an mich erinnern. Immerhin wird diesen Langohren wohl nicht jeden Tag ein Gelehrter aus Bruck über den Weg laufen. Bei meinem letzten Besuch reichte eine kurze Erklärung meiner Beweggründe für die Einreise. Diesmal schienen die Fenn noch verschlossener und skeptischer auf mich zu reagieren. Letztlich war ich gezwungen, mich als Gelehrter des Großen Archivs auszugeben, welch eine Schmach!

Nach meinem Einlass machte ich mich direkt auf die Suche nach einem Gasthaus und wurde fündig. Im ersten, wo ich nach freien Betten fragte, schickte man mich weg. Ob es tatsächlich einfach ausgebucht war oder das an mir lag, konnte ich nur schwer einschätzen. Die Wirtin kam mir allerdings sehr unfreundlich und schroff vor. Im zweiten Gasthaus hatte ich mehr Glück, dennoch schienen mich die Fenn etwas misstrauisch zu beobachten, behielten ihre Skepsis aber für sich. Dennoch spürte ich, dass sie den Kontakt zu mir mieden. Als ich mich im Gasthaus an den Tresen setzte, verstummten die beiden Fenn zu meiner rechten sofort mit ihrer Unterhaltung. Nach einer kurzen Pause wechselten sie das Thema. Hatten sie zuvor noch lauthals über einen anderen Fenn gelästert, drehte sich ihr Gespräch nun um die Qualität des Bieres, das sie tranken. Danach redeten sie über das Wetter und die nächste Windwende. Sie äußerten Sorge, ob sie sich genug auf die Kälte vorbereitet hatten. Ein wenig später verließen sie das Gasthaus schließlich. Kamen neue Fenn ins Lokal, schienen sie sich in jedem Falle einen Platz auszusuchen, der möglichst weit von meinem Standpunkt entfernt war. Als ich versuchte, mit dem Personal ein Gespräch zu führen, wurden mir zwar Antworten gewährt, doch überschritten diese nie die Länge eines Satzes. Nur der Koch wechselte ein paar mehr Worte mit mir und fragte, wie mir das Essen schmecke und wohin meine Reise führe.

In Kuer verweilte ich für zwei Dunklungen. Ich wollte versuchen, mit den Bewohnern zu sprechen und Veränderungen der Stadt zu dokumentieren. Letzteres gelang mir besser als ersteres, denn dafür war es nicht notwendig, dass die Fenn mir freundlich gesinnt waren. Dennoch musste ich beim Erkunden der Stadt große Vorsicht walten lassen. Ich wurde überraschend oft von Wachen „aus Routine“ kontrolliert – mehrmals täglich und recht ruppig. Insgesamt schien die Stimmung der Fenn wesentlich angespannter als beim letzten Mal und es marschierten auffällig viele Truppen umher. Etwas lag in der Luft. Im Vergleich zu meinem letzten Besuch nahmen die Wehranlagen der Kuerer Fenn größere Ausmaße an. Überall finden Ausbauten statt, als würden sich die Langohren auf einen Krieg vorbereiten.

In der ganzen Zeit, die ich in Kuer war, schaffte ich es lediglich, zwei Bewohner wirklich intensiv zu befragen. Es waren noch recht junge Fenn, nach ihren Angaben 9 Wenden alt. Ich traf sie im Gasthaus, als sie bereits den ein oder anderen Krug hinter sich hatten. In ihrem Rausch fanden sie Fremde wohl nicht mehr so schlimm, was mir sehr gelegen kam. Mit ihnen sprach ich dann auch etwas ausführlicher über meine Reise, auch über den Wolby-Händler. Allerdings war es durchaus eine Herausforderung, nützliche Informationen aus den beiden herauszubekommen. Sie schweiften ständig ab und forderten mich auf, mich mehr an ihrem Trinkgelage zu beteiligen. So kann ich nur mit großer Unsicherheit Aussagen über den Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen treffen. Eine interessante Geschichte hatten sie dann allerdings doch. Sie erzählten mir von einer „ungeahnt mächtigen Waffe“, die sich im Fennreich befände und die kurz davor sei, wieder zu „erwachen“. Selbstverständlich erfragte ich weitere Details, aber viel konkreter wurde das angetrunkene Gebrabbel nicht. Erst wollte ich ihnen keinen Glauben schenken, doch irgendwann mischte sich auch die Wirtin ein und bestätigte, sie habe die Gerüchte gehört. Sie sagte außerdem, dass sie vermutete, dass es sich um einen mächtigen Bogen handele, mit dem man ganze Städte und Armeen zerstören könne. Mittlerweile scheint es mir der Fall zu sein, dass diese Legende lediglich in Kuer wirklich bekannt ist – oder nur in Kuer wollte man mit mir darüber reden. So stellten sich alle anderen Fenn ratlos, wenn ich sie darauf ansprach.

Weiterreise nach Weiler

Um Kuer Richtung Reichsinnere zu verlassen, musste ich mich zusätzlich den Großteil meiner Reisebörse entledigen. Scheinbar sind diesen Langohren mittlerweile die Dar doch ans Herz gewachsen. Und so reiste ich weiter. Ich wollte zunächst nach Weiler, um dort einen Zwischenstopp einzulegen und mich nach dem genauen Weg Richtung Fennquell zu erkundigen. Doch bis nach Fennquell sollte ich nicht kommen – ich fand lediglich heraus, dass es wohl am Fuße des Weltensteigs im äußersten Westen liegt.

Das alles fing mit einer weiteren, langen Reise zu Fuß an. In Kuer hatte ich mich wieder mit Proviant eingedeckt und startete meine Weiterreise zunächst entlang der Eimh. Ich beobachtete, dass hier, westlich von Kuer, ein reger Warenhandel stattfand. Viele Händler waren unterwegs, teilweise sogar Menschen. Das wunderte mich schon sehr. Noch mehr wunderte mich jedoch, dass mich die Menschen gänzlich ignorierten. Sie zogen einfach an mir vorbei als wäre ich nicht da – ein ganz anderes Verhalten als der Wolby-Händler auf der neuen Handelsroute der Dämmerflanke.

Zwei Dunklungen später kam ich dann in Weiler an. Anfangs machte ich ähnliche Erfahrungen wie in der Torstadt, doch waren die Bewohner Weilers noch etwas deutlicher mit ihrer Abneigung mir gegenüber. Strafende Blicke begutachteten mich, wo immer ich mich hinbewegte. Kein Augenpaar, an dem ich vorbeilief, verfiel nicht in eine finstere Miene. Auch die Wachen der Stadt waren besonders unfreundlich. Eine verwehrte mir den Einlass – obwohl ich wieder die Ausrede mit dem Großen Archiv verwendete. Erst als ich ihr ein paar meiner Forschungsnotizen und Lehrbücher zeigte, schien sie einigermaßen zufrieden. Das sollte jedoch nicht lange anhalten. Später hatte ich eigentlich vor, ein paar der Handwerksbetriebe genauer unter die Lupe zu nehmen. Dafür machte ich mich noch vor Dämmerung auf den Weg. Ich durchquerte eine Seitenstraße, wo ich einer alten und gebrechlichen Fenn in die Arme lief. Sie hatte deutlich riechbar zu tief ins Glas geschaut, stank allerdings nicht nach Bier, sondern süßlich. Als sie mich sah, sprach sie mich direkt an. Zunächst war ich euphorisch über ihre willkommene Art. Sie fragte mich, was ich Fremder hier täte. Ich berichtete ihr dann vom Archiv in Bruck und meiner Expedition, dass ich nach Fennquell wolle und fragte sie nach einer Wegbeschreibung. Sie zeigte sich interessiert und stellte viele Nachfragen – besonders zum Archiv. Ich hielt meine Antworten so vage, aber authentisch wie möglich. Als sie mir den Weg nach Fennquell erklären wollte, fiel ihr mittendrin ein, dass sie noch eine alte Karte zu Hause hatte und bat mich, kurz zu warten. Sie wohne nicht weit weg und hole sie schnell. Während ich wartete, überlegte ich, wie ich sie am besten auf diese Wunderwaffe ansprechen könnte, von der mir in Kuer erzählt worden war. Doch nur wenig später kam nicht nur die alte Fenn, sondern eine Gruppe äußerst unhöflicher Pikeniere zurück.

Sie meinten, sie müssen mich auf der Stelle zurück nach Kuer eskortieren, so lange ich kein offizielles Mandat oder eine andere Legitimation vorweisen könne, um das Fennreich weiter zu bereisen. Keine meiner üblichen Geschichten konnte sie überzeugen. Ihre schroffe Art erweckte für mich den Eindruck, dass sie im äußersten Notfall auch zu Gewalt übergehen würden. Und so leistete ich keinen Widerstand. In der Tat machten wir uns umgehend auf den Weg zurück nach Kuer und verbrachten die Dunklung unter freiem Himmel. Sie redeten nicht mit mir – kein Stück des Weges und auch nicht, wenn ich ihnen Fragen stellte. Und so schwieg ich. In Kuer verweilte ich dann letztlich auch nur noch für kurze Zeit, bis ich gänzlich den Heimweg antrat. Ich wollte nicht noch für mehr Unmut sorgen.

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Illustration "Wachhabende aus Weiler" by Francesco Pizzo

gezeichnet, M. B., Archivar des Allwissenden Archivs, Fachgebiet Fennreich, Abteilung Feldberichte und Dokumentation

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